Meine Freundin wurde vor meinen Augen sexuell belästigt

Vorab: Bis heute war das Thema sexuelle Belästigung nie wirklich Thema für mich (männlich,23) gewesen. Klar man hört es hier und da, wirklichen Kontakt hatte ich (zum Glück) nie damit. Meine Freundin (22j.) berichtete dagegen schon ein paar mal, wie es in ihrer Jugend dazu kam. Ich war stets schockiert und fassungslos, aber das eines Tages mit zu erleben, habe ich mir auch nicht vorstellen können.

Wie es begann: Meine Freundin und ich waren zusammen zwischen den Tagen für ein paar Nächte städtemäßig im „Kurzurlaub". Deutschlandticket sei Dank und 4 Stunden von der Heimat weg, hatten wir ein paar schöne Tage zusammen und freuten uns auf die Heimreise, da wir beide noch ein wenig für Silvester vorzubereiten hatten.

Wie bereits auf der Hinreise waren auch heute die Züge extrem voll gewesen. Unsere erste Etappe sollte etwa eine Stunde dauern. Wir stiegen in den Zug und weiter als in den Eingangsbereich kamen wir leider nicht vor. Somit stellten wir unsere Rucksäcke zwischen unsere Beine und blieben die nächsten Stationen stehen.

Zwei oder drei Stationen nach unsere stieg ein Mann ein. Ich würde ihn auf 35 Jahre schätzen. Bereits beim Reinquetschen lächelte er in die Richtung meiner Freundin. Ich interpretiere es als „dümmlich“, was sich später als Fehler rausstellen sollte. Der Zug fuhr und zweimal "musste“ er sich kurz am Arm meiner Freundin festhalten um wohl nicht umzufallen. Es war wirklich sehr voll und er stand quasi in der Mitte des Eingangsbereiches des Zuges, wo er an keine Haltestange kam. Er entschuldigte sich bei meiner Freundin und fragte im Anschluss ob ich ihr der Sohn oder Bruder sein. Was sie verneinte und mit Freund / Partner verdeutlichte.. Ich glaube er hat sich nicht verstanden. Wir lachten zwar noch darüber aber bei mir und ich glaube auch bei ihr schrillten bereits die ersten Alarmglocken.

Für die restliche Zugfahrt stand meine Freundin mit dem Gesicht zu mir und der Mann stand quasi brustwärts genau zu ihr. Immer wieder schaute er (sehr dümmlich wirkend) über ihre Schulter zu ihr und versuchte ihr ins Gesicht zu sehen oder betrachtete ihre Haare. Mir kam das alles sehr suspekt vor aber auch jetzt konnte ich leider nichts konkretes festmachen um ihn anzusprechen.

Meiner Freundin fiel das unangenehme Verhalten natürlich auch auf, aber man versuchte es noch wegzulachen. Selbst als er ihr einmal in den Nacken geatmet hat, hielt man sich zurück, denn wer weiß was man reininterpretiert.

Das Ganze ging etwa 15 min so weiter, bis meine Freundin ihr Gesicht überrascht verzog. Auf erste Nachfrage verwies sich mich auf später, aber durch die vorangegangene Situation und mein Bauchgefühl wollte ich direkt wissen was los sei. Sie sagte, dass „es ihm wohl gefällt“ und deutete nach hinten. Scheinbar hat er sein errigiertes Glied an ihren Hintern gedrückt und gerieben. Ich konnte meinen Ekel in diesem Moment nicht in Worte fassen und mir nicht vorstellen, was sie gerade durchmachen musste.

Es war immernoch so voll, dass es nicht mal möglich war die Plätze zu tauschen oder auch nur einen Schritt zur Seite zu gehen.

Durch die vorangegangenen Situationen habe ich mir bereits etwaige Gedanken gemacht und habe dem Mann fest auf die Brust/Schulter geklopft und ihn bestimmend aber nicht eskalativ aufgefordert sich in die andere Richtung zu drehen und dem Ganze nochmal Nachdruck verliehen in dem ich es klar und verständlich wiederholte.

Wortlos drehte der Mann sich weg und lies von da an auch jegliche Blicke in unsere Richtung aus. Andere Fahrgäste in direkter Umgebung haben das natürlich mitbekommen und signalisiert, dass sie uns bei Bedarf unterstützen.

Und das war’s zum Großteil, die nächste Station stiegen wir aus und beeilten uns zu unserem Anschlusszug. Dort unterhielten meine Freundin und ich uns nochmal und sie war mir dankbar, dass ich eingegriffen habe und meinte, dass es ihr Selbstbewusstsein gab beim nächsten Mal auch selbst was zu sagen. Wir stellten auch fest, dass der Mann genau wusste das gemeint war, sonst hätte er anders auf meine Aufforderung reagiert. Im normalen Alltagsgespräch fuhren wir im ebenfalls vollen Zug nach Hause, aber dieses Mal konnten wir sitzen.

Und nun liege ich hier und kann nicht einschlafen, weil ich mich schäme und es mich nicht zur Ruhe kommen lässt. Dass ich nicht früher eingeschritten bin und es erst soweit habe gehen lassen, obwohl ich bereits diese Vorahnung hatte, aber es mir an Konkretisierung fehlte. Hätte ich impulsiver Handeln müssen? Wäre es besser vor Ort zu bleiben und eine Anzeige zu machen? So viele Gedanken mit Hätte und wenn.

Ich fühle mich schlecht für all die Frauen, die sowas durchmachen müssen und bewundere euch für diese Stärke.

Ich danke aber auch allen Beteiligten, die uns in diesem Moment das Gefühl geben haben Unterstützung zu bieten. Ihr wart in diesem Moment so viel wert. Nur durch euch konnten wir uns trotzdem sicher fühlen.

Nun sind 10 Stunden vergangen. Meine Freundin schläft schon lange und ich liege wach und verstehe es nicht: Ist es "normal“ für sie als Frau? Verarbeitet sie es anders als ich? Ich schätze wir werden da noch das ein oder andere mal drüber reden. Ändern können wir es leider alle nicht mehr, aber vielleicht daraus lernen.

edit: Formulierung edit: Klarstellung der Handlung

Abschlussedit: Erst einmal danke für die vielen aufbauenden Worte und das große Interesse an diesem wichtigen Thema.

Wenn ich etwas für mich mitnehmen konnte, dann dass ich hätte anders reagieren können, aber dadurch, dass es erstmalig für mich und eine Ausnahmesituation war die Gedanken natürlich viele sind, die sich abspielten.

Falls solche oder ähnliche Situationen noch einmal auf mich zukommen sollten, werde ich frühzeitiger und entschlossener einschreiten und mir mehr Recht rausnehmen, die Person frühzeitig merken zu lassen, wo Grenzen sind und dass es ein absolutes No-Go ist.

Meine Freundin und ich sind insgesamt gestärkt aus der Situation rausgekommen, da wir beide daraus lernen konnten und nun sensibilisierter sind.